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Mythen

Allein können wir die Welt nicht retten

Lucas Myers on Unsplash

Man hört es immer wieder: Was kann ich allein schon ausrichten? Und die Frage ist durchaus berechtigt. Angesichts globaler Herausforderungen wie dem Klimawandel erscheint es zunächst unmöglich, durch persönliche Veränderungen von einzelnen Menschen irgendetwas zu erreichen. Das liegt auch daran, dass es uns schwer fällt, Probleme von solcher Bandbreite zu überschauen, dafür sind wir einfach nicht gemacht. Deshalb wollen wir hier einmal versuchen, logisch herzuleiten, was es für so einen Veränderungsprozess braucht: persönliche Veränderungen von unten oder Veränderung von oben durch die Politik und die Wirtschaft?

Die wichtigste Erkenntnis

Um eines vorweg zu nehmen: Ohne persönliche Veränderungen geht es nicht. Die wichtigste Erkenntnis ist: Es geht weniger darum, tatsächlich etwas zu verändern, sondern v. a. um psychologische Effekte, die große Veränderungen überhaupt erst möglich machen. Aber gehen wir das der Reihe nach durch …

Was bewirken persönliche Veränderungen?

Die großen Hebel haben sicherlich die Politik und die großen Unternehmen in der Hand. Obwohl z. B. immer mehr Menschen sich für Produkte aus ökologischer Landwirtschaft entscheiden, haben wir immer noch massive Probleme mit belastetem Grundwasser und Insektensterben. Wenn die Politik den Einsatz von Pestiziden verbieten würde oder die großen Handelsketten strenge Richtlinien für ihre Produkte aufstellen würden, hätte das viel stärkere positive Auswirkungen.

Aber auch wenn die positiven Effekte des persönlichen Handelns gegenüber einem Wandel von oben vergleichsweise unbedeutend sind, gibt es Gründe, die dafür sprechen, mit persönlichen Veränderungen zu beginnen. Zum einen, weil man damit zunächst die richtige Einstellung erzeugt. Wer nachhaltiges Denken in seinen Alltag eingebaut hat, der denkt insgesamt kritischer und ist offener für nachhaltige Veränderungen von oben ‒ und auch besser vorbereitet. Ein System verändert man am besten von innen heraus. Veränderungen von oben sind sonst nicht nachhaltig, sie wirken zwar kurz- bis mittelfristig positiv, aber nur solange, bis irgendwer ein Schlupfloch findet, um die neuen Regelungen zu umgehen. Was fehlt ist die richtige Einstellung, mit der man erst gar nicht nach einem Schlupfloch sucht, sondern sich der Veränderungen konstruktiv annimmt.

Außerdem erzeugt man durch eigene Veränderungen ein Umfeld, das andere zum Nachahmen animiert, ohne dabei zu missionieren. Zahlreiche psychologische Versuche zeigen: Wer sich z. B. unter Menschen befindet, die viel Hilfsbereitschaft zeigen, neigt auch selbst deutlich mehr dazu, zuvorkommend und hilfsbereit zu sein. Und zwar nicht aus einem schlechten Gewissen heraus oder mit dem Hintergedanken, auch selbst besser behandelt zu werden. Denn das Ergebnis ist das gleiche, auch wenn sich die Hilfsbereitschaft an außenstehende richtet und sich die Personen hinterher nie wieder begegnen (vgl. [1]). Wenn wir also durch persönliche Veränderungen ein entsprechendes Umfeld schaffen, das durch den sozialen Kontakt und durch die Medien sichtbar wird, begünstigen wir damit weitere Veränderungen bis hin zu systematischen Veränderungen. Laut dem Sozialpsychologen Prof. Harald Welzer braucht es nur 3 bis 5 % einer Gesellschaft, damit „ein System kippt“ [2]. Und dann sind auch diejenigen unter Zugzwang, die die großen Hebel in der Hand haben.

Und nicht zuletzt sind persönliche Veränderungen für den einzelnen viel einfacher zu erreichen als die Veränderung des Systems für die Politik. Und wer es wirklich ernst meint, kann sich dann langsam steigern und im kleinen erproben, was es für die großen Veränderungen braucht. Wer sich dagegen gleich auf das große System stürzt, läuft Gefahr, sich die Zähne auszubeißen.

An dieser Stelle möchte ich auch noch auf eine andere Gefahr hinweisen, nämlich bei den persönlichen Veränderungen von sich auf andere zu schließen. Es haben bestimmt nicht alle die gleichen Möglichkeiten, Veränderungen im Leben vorzunehmen. Deshalb ist es gefährlich, daraus Rückschlüsse auf den Menschen selbst zu ziehen und ihn womöglich als Sündenbock darzustellen. Anstatt Autofahrer generell an den Pranger zu stellen, wäre es also eher angebracht, ihnen unvoreingenommen zuzuhören, warum sie meinen, auf das Auto angewiesen zu sein und dann gemeinsam nach Lösungen zu suchen.

Persönliche und systematische Veränderungen gehören zusammen

Persönliche Veränderungen sind die Grundlage für die Veränderung des Systems. Und auch das müssen wir nicht nur der Politik und den großen Unternehmen überlassen. Außer persönlichen Ansätzen wie dem Wechsel zu Ökostrom kann man sich auch politisch oder in einer Umweltschutzorganisation engagieren, oder über Spenden die Arbeit derjenigen unterstützen, die die nachhaltige Veränderung des Systems vorantreiben. Diese Beispiele zeigen aber auch: Persönliche und systematische Veränderungen lassen sich gar nicht so scharf voneinander trennen, schließlich sind wir alle auch Teil des Systems.

Und was heißt das jetzt praktisch?

Wenn ich einen Rat geben sollte, was denn jetzt der effektivste Ansatz ist, würde ich deshalb sagen: Denkt nicht zu viel darüber nach, das kann im schlimmsten Fall nämlich trotz aller guten Vorsätze in Tatenlosigkeit enden. Das kenne ich aus eigener Erfahrung. Fangt mit irgendetwas an! Und hinterfragt und bewertet dann immer wieder neu. Damit schaffen wir gemeinsam die beste Grundlage für die Zukunft.

eine zunehmende Auswahl an Ideen für persönliche Veränderungen findet ihr hier: Aktiv werden

Quellen

[1] Richard David Precht: „Die Kunst, kein Egoist zu sein.“

[2] Thomas Friemel: „Im Dickicht der Weltrettung.“ In: Bankspiegel ‒ Das Magazin der GLS Bank, Heft 236 (Herbst 2019).

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