Kategorien
Gedanken

Was ist normal?

Neulich fragte mich die Angestellte an der Supermarktkasse: „Sind das die Bio-Möhren oder normale Möhren?“. Meine Antwort: „Normale Bio-Möhren!“ Da mussten wir beide lachen. Vielleicht hilft es ja was und wir denken in Zukunft neu darüber nach, was eigentlich normal ist.

Bio-Lebensmittel sind jedenfalls offensichtlich in den meisten Köpfen nicht normal. Und das obwohl wir historisch betrachtet die längste Zeit unsere Nahrungsmittel „biologisch“ hergestellt haben. Solange es noch keine Pestizide oder mineralischen Düngemittel gab, hatten die Menschen gar keine Alternative und erfanden geniale Methoden wie die Vierfelderwirtschaft. Eigentlich müsste es heute umgekehrt sein und alle konventionellen Produkte ein Kennzeichen tragen („enthält Pestizide“ oder „aus unwürdiger Tierhaltung“), während die Bio-Produkte ganz normal angeboten werden.

Auch ein Auto zu besitzen ist heute normal. Jedes Mal, wenn ich erzähle, dass ich kein Auto besitze und alles mit Fahrrad oder Bus und Bahn mache, schauen mich die Leute etwas interessiert-ungläubig an. Manche denken vielleicht, dass ich nur noch nicht genug Geld gespart habe oder einfach noch jung genug bin. Aber eigentlich habe ich nicht vor, mir später ein Auto zu kaufen.

Interessante Erfahrungen habe ich auch bei dem Versuch gemacht, mein Verhältnis zum Fleischverzehr zu erklären. Jedes Mal, wenn jemand bei uns auf der Arbeit Geburtstag hat, wird ein Frühstück für alle Kolleg*innen ausgegeben. Das besteht meistens aus Brötchen und verschiedenen Sorten Aufschnitt. Das meiste davon Fleisch. Natürlich fiel bald auf, dass ich mir immer nur den Käse nahm und da kam dann die Frage: „Bist du Vegetarier?“ Meine Antwort: „Nein, eigentlich nicht.“ ‒ „Aber du nimmst dir nie Fleisch.“ ‒ „Ja, vielleicht bin ich so halb Vegetarier.“ ‒ „Wie kann man denn halb Vegetarier sein? Entweder man ist Vegetarier oder man ist keiner!“ ‒ „Ich esse halt nur selten Fleisch und nur, wenn ich weiß, wo es her kommt.“ …

Ich gebe zu, ich habe mich damals nicht sehr geschickt angestellt. Vielleicht lag es daran, dass mich die Frage etwas verwirrte. Für mich war es normal, sich gegen Fleisch zu entscheiden, auch wenn man nicht ‒ sozusagen offizieller ‒ Vegetarier ist. Für die fragenden war es offensichtlich normal, immer Fleisch zu essen, wenn man kein Vegetarier ist.

Was vor nicht allzu langer Zeit normal war ‒ kein Auto zu besitzen, nicht täglich Fleisch zu essen, nicht 24/7 online zu sein ‒ damit ist man heute schon fast ein Rebell!

Ein hoffnungsvoller Gedanke zum Schluss: Die Einstellung dazu, was normal ist, verändert sich extrem schnell. Daher spricht auch nichts dagegen, dass es sich bald in eine andere Richtung entwickelt! Vielleicht ist es in ein paar Jahren normal, den eigenen Solarstrom herzustellen, auf der Speisekarte im Restaurant nur noch ein oder zwei Fleischgerichte zu finden, mit dem smarten E-Mobil in Fahrgemeinschaften zur Arbeit zu pendeln oder …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.